Vehicle-to-Grid: Stromspeicher auf 4 Rädern
Text von Phillip Bittner
Illustrationen von Yannic Hefermann
September 2019
Die erneuerbaren Energien gelten als die nachhaltigste Lösung für die Energiezukunft. Sonne und Wind liefern zeitweise sogar so grosse Strommengen, dass es zu einer Überproduktion kommt. Wo kann man also die überschüssige Energie speichern? Ein Puzzleteil der Lösung: smarte Energiemanagementsysteme, die auch Elektrofahrzeuge miteinbeziehen. Volkswagen arbeitet an der technologischen Umsetzung.
Die Energiewende läuft europaweit auf Hochtouren. Die elektrische Energie stammt vermehrt aus erneuerbaren Energien. Und das, obwohl die grösste Herausforderung noch gar nicht gelöst ist: die nicht kontinuierliche Verfügbarkeit von Energielieferanten. Wind weht, wenn er weht, und die Sonne scheint, wenn sie scheint. Hinzu kommen noch Extremereignisse wie grosse Herbststürme, die nur schwer in ihrer Stärke und ihrem Verlauf vorherzusagen sind. Dann wäre es ideal, die überschüssige Energie zu speichern – um sie zu einem späteren Zeitpunkt nach Bedarf abzurufen.
Eine mögliche Antwort auf die Zukunftsfrage Energiespeicherung rollt vermehrt über die Strassen: e-Fahrzeuge mit ihren Akkus. Hinter dieser Idee steht das Konzept „Vehicle-to-Grid“ – kurz V2G. Das Elektrofahrzeug wird an die Ladestation angeschlossen und so intelligent in das Stromnetz eingebunden – Energiemanagementsysteme (EMS) koordinieren automatisch die Aufnahme und Abgabe von Energie.
Und das ist letztendlich alles, was der Elektrofahrzeug-Besitzer tun muss: einfach das Ladekabel anschliessen.
«Für die Netzbetreiber ist es wichtig, dass sich die sogenannten Netzverknüpfungspunkte, hinter denen die Stromzähler hängen, in ihrem Verhalten beeinflussen lassen», erklärt Dr. Gunnar Bärwaldt, Volkswagen Experte für die Netzintegration von Fahrzeugen. Dies ist wichtig, wenn der vorab in den Netzen geplante Stromverbrauch oder die Einspeisung von Strom nicht eingehalten werden kann. Oder konkret: wenn die Sonne beispielsweise nicht wie vorhergesagt scheint oder der Wind stärker bläst als gedacht. Damit die Netze stabil bleiben, muss auf diese Schwankungen reagiert werden. Und hier kommen in der Zukunft die EMS ins Spiel.
Ein klassisches Szenario beim Einfamilienhaus: Auf dem Dach ist eine Photovoltaikanlage installiert, die Wärmepumpe sorgt für Behaglichkeit und in der Garage ist das Elektrofahrzeug an einer Wallbox angeschlossen. Das EMS, ein intelligenter Rechner, koordiniert nun alle an das lokale Netz angeschlossenen Geräte. «Steht beispielsweise nicht so viel Strom wie geplant zur Verfügung, lädt das Elektrofahrzeug weniger oder die Wärmepumpe macht eine Pause», sagt Bärwaldt. Muss dagegen mehr Strom abgenommen werden, kann das Elektrofahrzeug mit mehr Leistung geladen werden. Volkswagen arbeitet ausserdem daran, dass die Stromer aus Wolfsburg nicht nur Strom laden, sondern auch Energie abgeben können. So kann beispielsweise die Restenergie des Fahrzeugs ins Haus fliessen, um den Strombedarf zeitweise zu decken. Ein Pilotprojekt von Volkswagen mit dem Fraunhofer-Institut wurde bereits erfolgreich abgeschlossen. Anfang der 2020er könnten die ersten Fahrzeuge vom Band laufen, die auch zum Zurück-Einspeisen (bidirektionales Laden) fähig sind. «Die Möglichkeit des Entladens erweitert den Lösungsansatz, erneuerbare Energien noch besser zu integrieren», stellt Bärwaldt fest.
Damit die EMS zuverlässig arbeiten, müssen die unterschiedlichen Netzteilnehmer in der Zukunft miteinander kommunizieren können. «Der Volkswagen Konzern setzt dabei auf den einheitlichen Kommunikationsstandard EEBUS, der über den Einsatz von Energiemanagementsystemen eine intelligente Vernetzung von Haushaltsgeräten und Anwendungen zur Energieeffizienz ermöglicht. So soll die Ladetechnik auf möglichst breiter Basis mit der Haustechnik kompatibel gemacht werden», erläutert Bärwaldt. Die EEBUS-Initiative möchte eine einheitliche Sprache für alle Geräte – über die Grenzen von Ländern und Branchen hinweg. Eine Sprache der Energie, die jedes Gerät und jede Plattform unabhängig von Hersteller und Technologie frei nutzen kann.
Damit die Kommunikation zwischen Elektrofahrzeug und Ladestation automatisiert abläuft, plant Volkswagen ab 2022 die ISO-Norm 15118 bei seinen Modellen umzusetzen. Sie definiert die Fahrzeug-zu-Ladepunkt-Schnittstelle zum Laden von Elektrofahrzeugen. So wird das sogenannte Plug-and-Charge ermöglicht. Perspektivisch wird damit auch das Zurück-Einspeisen beschrieben, was voraussichtlich ab 2022 in den ersten Fahrzeugen möglich sein wird.
Durch das smarte Energiemanagement kann der Fahrer eines Elektrofahrzeugs sicher sein, dass er sein Ziel erreicht – unabhängig davon, ob die Sonne scheint oder der Herbststurm tobt.
Und das ist es, was der Elektrofahrzeug-Besitzer tun muss: einfach das Ladekabel anschliessen. Denn das EMS kümmert sich dann gemeinsam mit dem Fahrzeug um den Rest. Das gilt auch für den Abrechnungsvorgang mit dem Energieversorger, denn dieser wird für den Service, den das Elektrofahrzeug leistet, bezahlen. Experte Bärwaldt vergleicht das EMS daher auch mit einem «Bauchladen voller Angebote», aus dem dann das sinnvollste für das Fahrzeug ausgewählt wird. «Die Algorithmen im Fahrzeug werden entscheiden, ob beispielsweise der Preis für das Entladen angemessen ist», sagt Bärwaldt.
Das Elektrofahrzeug könnte zum elementaren Faktor in der Energiewende werden – hat dann der Netzbetreiber im Zweifel Vorrang? Gunnar Bärwaldt beruhigt: «Natürlich gibt es die Herausforderung, kurzfristige Engpasssituationen abzufedern. Da sagt das EMS beispielsweise: ‚Jetzt kannst du die nächsten zehn Minuten nicht mit der geplanten Stärke laden, doch danach steht dir die maximale Leistung wieder zur Verfügung'». Der Fahrer kann also sicher sein, dass die zuvor eingestellte Mindestreichweite erreicht wird. Laden läuft auf diese Weise für den Kunden überwiegend unsichtbar ab. Maximaler Nutzen bei gleichem Komfort und gleichzeitig minimalem Aufwand für den Nutzer – da freut sich der Kunde.
Zukunftstechnologien by Volkswagen
Beim e-Rennwagen ID. R Pikes Peak ist das Gewicht des Akkus von besonderer Bedeutung: Er muss aus Performance-Gründen besonders leicht und damit auch kleiner sein. Die Ingenieure von Volkswagen Motorsport setzten nicht nur auf die fortschrittliche und gewichtsparende Lithium-Ionen-Bauweise, sondern auf eine Technologie, die bei Serienmodellen mit Elektroantrieb eingesetzt wird: Rekuperation. Der e-Rennwagen nutzt die Bremskraft und produziert rund 20 Prozent der benötigten Energie selbst.