Die Schweizer Bulli-Karawane 2021 – Sympathieträger auf Rädern
Im VW Bus durch die Schweiz zu reisen, ist der Traum vieler. Noch spektakulärer ist das Ergebnis, wenn sich neun historische Bullis zu einer Karawane zusammentun und auf Nebenstrassen wenig bekannte Ecken des Landes erkunden.
Text Reto Neyerlin Fotos Dominique Zahnd und Reto Neyerlin Video Dominique Zahnd
Das «Van Life», wie das Leben im und mit dem Campingbus auf neudeutsch genannt wird, boomt wie noch nie. Bereits 2020, als sich zum 70-jährigen Importjubiläum des VW Busses die erste Schweizer Bulli-Karawane auf den Weg machte, schien der Höhepunkt des Phänomens erreicht. Ein Jahr Corona-Pandemie später hat sich der Trend aber noch verstärkt. Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer suchen das Freiheitsgefühl, jederzeit losfahren zu können und mit ihrem Hotel auf Rädern dort anzuhalten, wo es gerade gefällt.
Bestätigen können dies beispielsweise Bibiane und Gérald Maître vom Hof «Bout du Pont» in Soubey (JU), wo die Karawane der Ausgabe 2021 den ersten Nachthalt einlegt. Seit über 20 Jahren bieten sie Agro-Tourismus an, vom Schlafen im Stroh bis zum Stellplatz auf der Weide. Aber ein Aufmarsch wie an diesen Pfingsten war auch für sie eine Premiere: «Wir hatten rund 80 Busse auf unserem Camping. Da wird es dann schon mal eng.»
Neun Bullis und die California-Familie
Dieses Problem haben wir an einem Mittwochabend Ende Juni nicht, dafür ein anderes: Wie so oft in diesem Sommer hat es zuvor tagelang geregnet, und auch bei unserer Ankunft giesst es wie aus Kübeln. Die Gefahr ist gross, dass die Busse auf der durchnässten Weide über Nacht einsinken. Also richten sich die neun historischen Bullis und die neuen Campingmobile von VW Nutzfahrzeuge – Caddy California, T6.1 California und Grand California sind ebenfalls mit dabei – auf einem geteerten Platz hinter dem Bauernhof für das Nachtlager ein.
Ans Schlafen denkt aber noch niemand. Vielmehr besteht nach einem langen Tag hinter dem Steuerrad das Bedürfnis, sich über die eigenen Buserlebnisse auszutauschen. Die beiden Organisatoren der Karawane, Claude Schaub von bugbus.net und Martin Sigrist von der Auto-Illustrierten, haben aus über 30 Bewerbungen erneut eine sehr bunte Truppe zusammengestellt. Nicht nur, was die Bullis betrifft, auch ihre Besitzer könnten unterschiedlicher kaum sein.
Da wären etwa Stephan und Cindy mit Tochter Lyna. Ihr T1 mit Jahrgang 1966 war früher ein Militärfunkbus. Drei Jahre lang haben sie ihn liebevoll restauriert, nun sind sie mit ihm in der ganzen Schweiz unterwegs und schlafen jeweils zu dritt im Dachzelt. Cornelia und Johannes reisen seit 50 Jahren in VW Bussen. Aktuell fahren sie einen T3 Syncro mit Allradantrieb, der sie zuverlässig bis in die Wüste nach Tunesien und dreimal nach Island brachte. Oder Noemi, die Wanderbäuerin. Sie hilft anderen Landwirten bei Bedarf aus, schläft dann jeweils in ihrem grauen T4 Multivan auf dem Hof und badet am liebsten in Brunnen. «Van Life» in Reinkultur, sozusagen.
Der Jurakette entlang
Die ersten zwei Tage der Bulli-Karawane stehen landschaftlich im Zeichen des Juragebirges. Am Mittwoch geht es 200 Kilometer weit vom AMAG-Logistikzentrum in Lupfig über die Aargauer, Baselbieter und Solothurner Höhenketten bis in den gleichnamigen Kanton, den Jura. Am zweiten Tag spulen wir 135 Kilometer ab, passieren die Freiberge und das Val de Travers, mit dem Fluss Doubs als regelmässigen Begleiter.
Hauptachsen werden, wenn immer möglich, gemieden, meist führt der Weg über schmale Nebenstrassen oder (legal befahrbare) Feldwege. So erstaunt es nicht, dass die Durchschnittsgeschwindigkeit bei lediglich 30 Stundenkilometern liegt. Das kommt auch den Passanten am Strassenrand zugute: Sie haben meist genug Zeit, der Karawane zuzuwinken oder mit dem Handy Fotos zu machen.
Wildcampen unter Bulli-Fahrern verpönt
Wer mit einem historischen VW Bus vorfährt, hat stets einen Sympathiebonus. Das wissen die Karawanen-Teilnehmer aus Erfahrung. Und so stehen die Chancen auf eine positive Antwort meist gut, wenn man einen Landbesitzer fragt, ob der Bus über Nacht auf seiner Parzelle stehenbleiben darf. Denn bei aller Flexibilität, die diese Art des Reisens bietet: Wildcampen in der freien Natur ist nicht nur in vielen Ländern Europas verboten, sondern ist auch unter den gestandenen Bulli-Fahrern verpönt.
Die Karawane geht da mit gutem Beispiel voran und verbringt die zweite Nacht ebenfalls auf einem Bauernhof mit Campingplatz, dem «Bois du Fey» oberhalb von Yverdon. Und nun können sich die Busse tatsächlich auf dem satten Grün zwischen Bäumen einreihen. Nach zwei Tagen ausgiebiger Fahrerei bietet Rose, die im grünen T2 von Stephanie mitfährt, zwischen den Bullis spontan eine Yogastunde zur Entspannung an. Es sind Erlebnisse wie dieses, die das «Vanlife» ausmachen.
Pannenfreie Karawane
Am dritten Tag geht es über 210 Kilometer von Yverdon durch den Kanton Freiburg ins Berner Oberland. Vor der Jaunpasshöhe nehmen wir den Abzweiger Richtung Abländschen und fahren entlang der spektakulären Gastlosen-Bergkette – die sich heute leider in den Wolken versteckt. Im Simmental kommen wir zügig voran, und nach Zweisimmen steht der letzte steile Anstieg der Tour bevor. Noch einmal keuchen die Bullis mit ihren für heutige Verhältnisse mageren Pferdestärken tapfer den Berg hoch. Bemerkenswert: Es gab während der gesamten Karawane keine nennenswerte Panne.
Endpunkt ist das verwunschen-schöne Tipi-Camp im Naturpark Diemtigtal. Dort warten schon weitere historische Bullis: ein gemeinsames Treffen steht auf dem Programm. Normalerweise lässt der Campbesitzer keine Wohnmobile auf sein Areal – für die historischen VW Busse macht er eine einmalige Ausnahme. Doch beinahe fällt das Treffen ins Wasser. Die starken Regenfälle haben neben den Tipis einen kleinen See entstehen lassen. Kurzfristig und dank des Entgegenkommens eines Landwirts wird entschieden, die Bullis auf seiner benachbarten Weide aufzustellen. Hier zeigt sich noch einmal der entscheidende Vorteil des Reisens mit einem Campingbus: Man bleibt flexibel und kann sein Haus auf Rädern fast überall einrichten. Und so lassen die Teilnehmer plangemäss die Karawane am Tipi-Lagerfeuer ausklingen.
Was die Karawanisti zu ihren Bullis und dem Leben darin sagen:
Jan, T1 (1972)
«Mein T1 stammt aus dem VW Werk Brasilien, ich habe ihn einem Italiener abgekauft, der dort gelebt hatte. Zum Einsatz kommt er vor allem für Wochenendtrips, aber auch zum Pendeln. Beim Campen schätze ich das Naturgebundene: Man tritt aus dem Bus und hat Erde unter den Füssen.»
Cornelia und Johannes, T3 Syncro (1988)
«Wir haben seit 50 Jahren VW Busse und leben rund 10 Wochen pro Jahr darin. Den aktuellen haben wir 2005 gekauft und selbst ausgebaut, um damit die Wüste Tunesiens zu bereisen. Früher waren wir auch viel mit unseren Kindern unterwegs.»
Claude und Therese, T1 Westfalia (1966)
«Zweieinhalb Jahre haben wir gebraucht, um den Bulli einer Komplettrenovation zu unterziehen und die Originalausstattung wiederherzustellen. Wir sind leidenschaftliche Camper und haben auch ein Wohnmobil. Dabei lieben wir es, neue Orte zu entdecken, wo man sonst nie hinkommen würde.»
Christian, T3 Westfalia Atlantic (1989)
«Meinen ersten Bulli kaufte ich mit 17 und hatte seither nie ein anderes Auto als einen VW Bus. Meine Leidenschaft habe ich zu meinem Beruf gemacht: Seit 15 Jahren arbeite ich für VW Nutzfahrzeuge. Da ich Hotels nicht mag, habe ich auch geschäftlich immer einen Bus mit dabei, insgesamt schlafe ich 100 Tage pro Jahr im Camper. Mein Credo: Ein Auto ohne Bett ist kaputt.»
Noemi, T4 Multivan (2002)
«Als Wanderlandwirtin bin ich mal eine Woche hier, eine Woche dort – der Bus ist dann meine Wohnung. Unterwegs konzentriere ich mich auf das Wesentliche: ein Feuer machen, in einem Brunnen baden, in der Natur sein. Das ist eigentlich immer wie Ferien.»
Maria und Simon, T2a (1969)
«Der Bulli sah schitter aus, als wir ihn 2017 im Verzascatal fanden. Er hatte 20 Jahre dort gestanden. Ein Jahr lang haben wir ihn renoviert und bis auf den Lack alles selbst gemacht. Die erste Fahrt ging dann mit den Kindern in den Europapark.»
Lyna, Cindy und Stephan, T1 (1966)
«Der ehemalige Militärfunkbus befindet sich seit über 30 Jahren im Familienbesitz. Früher ging der Vater damit auf die Jagd. Wir haben ihn vor sechs Jahren übernommen und sind nach dem Umbau zuerst einmal rund um die Schweiz gereist. Dabei gefällt uns die Einfachheit, man hat nur das Nötigste mit dabei.»
Stephanie und Mitfahrerin Rosmarie, T2a (1969)
«Den Bus habe ich Honu getauft. Das ist Hawaiianisch und heisst Schildkröte. Denn genau so ist er: Grün und langsam. Ich fahre mit ihm zum Surfen, an Openairs oder zum Fischen. Mit ihm kann ich megaflexibel sein und muss nicht planen.»